Ein Jagdgang ins Revier Bevertal – Haarbrück (1955)
Amt Beverungen 1956 20 Januar, 2010Sodele, liebe Leserinnen und Leser, so langsam naht das Ende der Erzählungen aus dem Heimat- und Wanderbüchlein von Hermann Nolte (1955). In seiner letzten Geschichte können wir noch einmal erleben, wozu ein Mann fähig ist, wenn er seine Heimat liebt.
Das folgende Lied soll dabei helfen, sich beim Lesen in die damalige Zeit zu versetzen, und dabei Ruhe und Frieden in sich spüren.
Auf denn: poetisch – romantisch – heimatliebend – gut !!!
Ein schöner frühsommerlicher Spätnachmittag. Über die Dalhäuser Straße, die am Beverbach entlang führt, schlendern müde Landleute zu zweien, zu dritt oder zu mehreren nach Hause, nach Beverungen hin. Größere Kinder trippeln davor und daneben.
Der Tag war lang und heiß, die Landarbeit schwer gewesen. Wenn auch manchmal ein rasendes Auto das gemütliche Heimschreiten stört: alle machen doch ein frohes Gesicht, denn nun ist die Arbeit getan, nun ist Feierabend….
Ich gehe an diesem Juniabend allein für mich nachdenklich und frohgemut über dieselbe Straße, aber in umgekehrter Richtung von Beverungen nach Dalhausen und Haarbrück hin. Die Sonne steht schon tief über dem westlichen Horizont. Meine Augen trinken mit Begier das Schauspiel des Sonnenuntergangs, sehen der Abendsonne ganze Schönheit, das wundervolle Rot, die wohltuende Milde, in dem großen, blutroten Sonnenball ein Flirren und Flimmern, ähnlich dem vom Feuer verursachten Quirlen im Gischt des Schmelzofens oder dem vom Wind bewirkten Gewoge der Meereswellen.
Nach Überquerung der Bever kann ich, muß ich immerzu die herrliche Landschaft beobachten. Da ein Stück Wiese im Blumenschmuck, dort blühende Kornfelder, rund herum hellgrüne Buchenwälder. Der letzte Schimmer der Abendröte ist verglüht, der Himmel steht in einem tiefen Blau. Kein Mensch weit und breit. Nur eine Amsel flötet von der höchsten Spitze einer Linde herab ihren Nachtgruß, sonst totale durch keinen Windhauch gestörte Stille.
Wenn auch – dem Himmel sei´s geklagt – unsere heutige technisierte Kulturwelt all das nicht mehr liebt und kaum noch kennt, für mich ist es das Schönste auf Erden, und darum übe ich noch im Herbst meines Lebens so leidenschaftlich das einsame Fußwandern.
Nun bin ich vorm Rand des Waldes angekommen. In einiger Entfernung äst in einem Kleestück ein Gabelbock; er wirft auf, äugt nach mir,fort ist er mit hohen Fluchten im Dickicht.
Weiter geht´s durch eine tiefe Waldschlucht. Die Luft ist hier warm, dunstig und durch das Blätterdach des Buchenwaldes auch verdunkelt. Vor mir, links von mir, rechts von mir, hinter mir treiben unzählige Leutkäferchen, Johanniswürmchen – es ist ja „ihre“ Stunde – ihr bezauberndes Tanz- und Liebesspiel.
Gegen elf Uhr ist das stille Berdörfchen Haarbrück erreicht. Nach kurzer Ruhe im Dorfgasthaus rappelt um zwei Uhr der Wecker, und schon bin ich auf den Beinen, schon geht´s hinaus in mein vertrautes Jagdrevier. Es ist eine der sogenannten „hellen Nächte“, die ich schon in Jünglingsjahren so oft „wandernd“ erlebte. Mein Weg führt durchs Feld. In vollen Zügen atme ich den starken Erdduft. Die Sterne, sonst die Regenten der Nacht, stehen zwar am Himmel, aber ihr Schein ist bleich und blaß. Dafür vernehme ich die Laute der Juninacht: in den Lüften das Morgenkonzert der Lerchen, aus dem Kornfeld den einsamen Ruf der Wachtel.
Um drei Uhr sitze ich am Waldesrande auf der Höhe des Mühlenberges auf meiner Jagdkanzel und warte auf den jungen Tag und den roten Bock.
„Ãœber allen Wipfeln ist Ruh!“ – Reine, erquickende Waldluft füllt die Lunge. ‚Die Sonne steht noch hinter den Sollingbergen, aber der Abschnitt, den sie bereits im Frührot ableuchtet, wird immer größer.
Jetzt dringen ihre ersten Strahlen durch die Wipfel der alten Buchen. Bald steht sie halb und dann voll am Himmel. Der Blick streift über „Kämpe, Wälder, Ackebreiten“ weit ins Land hinaus, über die Weserberge bis zum Reinhardswald im Süden und zu den Sauerlandbergen im Westen. Das Morgenkonzert der Vögel ist auf dem Höhepunkt angelangt. Der Kauz lacht über dem Waldrande. Und tief, tief drinnen in der Wildnis ruft neckisch lockend der Kuckuck. Alles, was lebt, jubelt der Sonne entgegen, auch die Gräser, die Getreidehalme, die Bäume. Während ich in der strahlend schönen Morgenfrühe auf lauschigen, verschlungenen Waldwegen heimwärts hinunterschreite ins Bevertal, geht mit das Herz auf: die tausend Rätsel und Geheimnisse einer Juninacht. Meine Seele lobpreiset innig Gott den Herrn, den Schöpfer von Tag und Nacht, den Erhalter der Natur, mein Gedächtnis erinnert sich der vielen deutschen Dichter, die uns so köstliche und frohe Wald- und Wanderlieder hinterlassen haben.
Danke, Hermann Nolte – solche Worte in der heutigen Zeit lesen und gedanklich umsetzen, ist Balsam für die Seele!!